Buchbesprechung „Frei & Gleich“ in „Die Internationale“ 6/2021 21. Januar 2022 – Gepostet in: Aktuelles, Verlagsnews – Schlagworte: Buchbesprechung, Manifest Verlag, Rezension
„Gehört das Leben in Gesellschaften, die hierarchisch organisiert sind, zu unserem Wesen? Liegt uns das Kriegführen im Blut? Ist uns das Streben nach eigenem Vorteil in unser Erbgut tätowiert worden? Oder gab es doch eine andere Zeit? Eine Zeit, in der sich die Menschen als Menschen, als Schwestern und Brüder, als Gleiche, begegneten? Gab es ihn, den ,,Urkommunismus“?“
■ Bernhard Brosius
Diese Fragen stehen am Anfang des Buches „Frei und Gleich – Die Menschen im Urkommunismus“, das im August 2021 vom Manifest-Verlag herausgegeben wurde. Verfasst hat es Steve Hollasky, Lehrer für Geschichte und Sozialkunde.
Auf knapp 200 Seiten nimmt Hollasky uns mit auf der Suche nach dem Urkommunismus, dem „alten Kommunismus“. Es wird eine atemberaubende Reise durch Raum und Zeit – von den südamerikanischen Anden über Afrika, Anatolien, Pakistan und quer durch Europa – und von den Anfängen der Menschwerdung über die Jungsteinzeit bis zu den letzten, noch heute in kommunistischer Verfasstheit lebenden Wildbeutervölkern Afrikas. Diese Reise führt uns aber auch hin zu jenen Zeugnissen, die vom Ende der Gleichheit künden und den Beginn von Unterdrückung, Patriarchat und Krieg belegen.
Leitlinien von Hollaskys Untersuchungen sind die Entwicklung von Eigentumsverhältniss.en, die Kontrastierung jener egalitären Gesellschaften mit dem heutigen Zustand von Ungleichheit und Ungerechtigkeit, vor allem jedoch die ausführliche Dokumentation der sozialen Organisation der, meist vorgeschichtlichen, egalitären Gesellschaften.
Das heißt konkret: Immer wieder offenbart sich aus den archäologischen Funden, dass Solidarität, gegenseitige Hilfe und Kollektivität zu den höchsten Werten egalitärer Gesellschaften gehört haben müssen. Aus der gemeinschaftlichen Produktion, der Kooperation, ergibt sich auch, dass die Verteilung der Güter einer „Ökonomie des Teilens“ folgte und Eigentum nur als persönliches Eigentum (an Werkzeugen, Schmuck u. ä.) und als Gemeineigentum vorkam, aber nie als Privateigentum an Produktionsmitteln.
Alle diese archäologisch fassbaren Besonderheiten treten immer zusammen und bei allen untersuchten egalitären Gesellschaften, unabhängig von „Raum und Zeit“, in Erscheinung. Auch fehlen die Hinweise auf Kriege. Herrschaft, Konkurrenz und Egoismus sind also keine ,,natürlichen“ Wesenszüge des Menschen, sondern stets an Gesellschaften der Ungleichheit gebunden.
Dabei richtet Hollasky seinen Blick auch immer auf das Geschlechterverhältnis. Er zeigt, dass in den egalitären Gesellschaften der Alt- und Jungsteinzeit das Geschlechterverhältnis egalitär war und auch Klassengesellschaften existierten, in denen Frauen hochgeachtete Anführerinnen sein konnten. Auch das Patriarchat ist also kein „natürlicher“ Zustand, sondern war die meiste Zeit in der Geschichte der Menschheit unvorstellbar.
Andere Interpretationen der Befunde und konträre Sichtweisen nimmt der Autor sehr ernst und diskutiert sie ausführlich oder interviewt Wissenschaftler*innen direkt dazu. Einseitigkeit oder Vereinfachungen sind Hollaskys Sache nicht.
Leider gibt es einige Flüchtigkeitsfehler, die jedoch den Wert des Buches nicht mindern, da sie nicht zentrale Aussagen betreffen. Ansonsten ist das Buch sorgfältig recherchiert und zeitlich auf dem neuesten Stand. Besonderen Reiz erhält es durch die zahlreichen Interviews, die Hollasky führte. Der Autor nutzt die Gelegenheit, um mit Klischees aufzuräumen, die auf den Misthaufen die Internationale der Geschichte gehören. So kennen wir doch alle die Abbildungen in populärwissenschaftlichen Werken, die illustrieren sollen, wie die Höhlenmalereien entstanden: Bärtige alte Männer stehen vor den Höhlenwänden und erschaffen Kunstwerke für die Ewigkeit. In Hollaskys Buch erfahren wir, wie die Wissenschaft herausfand, dass die große Mehrheit der Höhlenbilder nicht von Männern, sondern von Frauen gemalt wurde. Auch gehen wir immer davon aus, dass die Männer zur Jagd gingen und die Frauen :ammelten, es also Jäger und Sammlerinnen gab. Doch die Funde zeigen, dass Frauen ebenfalls jagten und als erfolgreiche Jägerinnen hohe Achtung erreichen konnten. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass so vieles anders war, als wir es zu kennen glauben. Bei der Lektüre von Steve Hollaskys Buch mitzuerleben, dass so vieles anders war, als uns erzählt wird, ist dazu geeignet, uns zu inspirieren. Es erhöht die Fantasie – und den Mut – uns vorzustellen, dass es auch jetzt ganz anders sein könnte, als es ist.
,,Das Wissen darum,“ so Hollasky, ,,dass das Zusa1nmenleben als Gleiche nicht einfach nur möglich ist, sondern uns über Jahrtausende ausgemacht hat, ist auch das Wissen darum, dass es eine Lösung fiir unser Dilemma, einen Ausweg aus der Sackgasse gibt.“ – ,;J/ir könnten genug für alle produzieren und hätten zugleich alle genug für ein angenehmes Leben. Dass dieses Zusammenleben denkbar und möglich ist, zeigt unsere Vergangenheit.‘‘
Das Buch „Frei und Gleich“ ist flüssig geschrieben und spannend zu lesen. Fachbegriffe, so sie denn Verwendung finden, werden in Fußnoten verständlich erklärt, und am Schluss finden wir vor dem Literaturverzeichnis noch eine Zeitleiste, die uns hilft, die beschriebenen Gesellschaftsformen einzuordnen.
Dem Buch ist eine große Verbreitung zu wünschen.
Hinweis des Verlags – Die 2. Auflage befindet sich gerade im Druck und das Buch wird ab Mitte Februar wieder lieferbar sein. Ihr könnt es hier vorbestellen: https://manifest-buecher.de/produkt/frei-gleich/